Autor: Leon Schröter, CC4E/HAW Hamburg, studentischer Mitarbeiter TV 3.1 „Industrielle Transformation und gesellschaftliche Teilhabe“
Seit Kurzem hat das Norddeutsche Reallabor (NRL) einen neuen assoziierten Partner: den Bundesverband der Energie-Abnehmer e.V. (VEA). Der vor 75 Jahren gegründete Verband zählt heute mehr als 5.000 Mitgliedsunternehmen – vor allem mittelständische Betriebe aus ganz Deutschland. Im Gespräch mit Geschäftsführer Christian Otto haben wir erfahren, welche Aufgaben der VEA übernimmt, wie er Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität begleitet – und welche Rolle dabei das NRL spielt.
Herr Otto, können Sie uns erklären, was der VEA ist und wie dessen alltägliche Arbeit aussieht?
Christian Otto: Unsere Aufgaben sind äußerst vielschichtig. Unsere Kunden sind meist mittelständische Unternehmen, die zahlreiche Aufgaben im Energiebereich haben, jedoch über keine eigene Abteilung für diesen Bereich verfügen. Wir schließen diese Lücke, indem wir mit dem benötigten Personal und unserem Fachwissen die Energiebeschaffung übernehmen und die Einhaltung gesetzlicher Meldepflichten sicherstellen. Jedes unserer Mitglieder hat einen persönlichen Berater, der in einem sehr engen Kontakt mit dem Unternehmen steht. Gemeinsam werden die anstehenden Aufgaben analysiert und entsprechende Strategien erarbeitet. Jederzeit können aufkommende Fragen des Unternehmens mit dem Berater diskutiert und beantwortet werden. Ergibt sich dabei ein Bedarf an individuellen Dienstleistungen – zum Beispiel eine Antragstellung, eine Effizienzberatung oder eine Ausschreibung des Energiebedarfs –, dann können wir das über unsere Fachabteilungen abwickeln.
Zur Person
Christian Otto ist seit über 25 Jahren beim VEA tätig. Er ist studierter Betriebswirt, begann seine Arbeit im Vertrieb und wechselte dann in die Beratung. Heute ist er als Geschäftsführer unter anderem für die Mitgliedergewinnung, die Klimainitiative, den Veranstaltungsbereich und die Energiepolitik zuständig.
Seit 2020 gibt es auch die ‚Initiative Klimafreundlicher Mittelstand‘. Was hat den VEA dazu bewegt, diese zu gründen?
Christian Otto: Der deutsche Mittelstand steht vor der Aufgabe, dass er klimaneutral werden muss. Stellen Sie sich zum Beispiel einen Wursthersteller vor. Der möchte vor allem Wurst herstellen und sich nicht mit anderen Sachen, insbesondere nicht mit Energiethemen, beschäftigen. Deshalb braucht er Unterstützung. Und genau die bietet die Klimainitiative an. Das machen wir unabhängig von der Mitgliedschaft beim VEA. Man kann sich bei uns ein kostenfreies Fördermittelgespräch oder einen CO2-Footprint buchen, aber auch ein Transformationskonzept bestellen. Ein zentraler Punkt ist unser Maßnahmenkatalog mit Stichwortsuche. Dort kann man sich zum Beispiel über das Stichwort ‚Prozesswärme‘ konkrete Beispiele mit Investitionssummen und Amortisationszeiten anzeigen lassen. Unser Anliegen ist, dass sich dadurch weitere Unternehmen denken: ‚Das hört sich interessant an, das möchte ich auch gerne machen‘. Dann finden diese dort weitere Informationen und eine Kontaktmöglichkeit zu uns. Im besten Fall stellen wir auch den Kontakt zu einem Unternehmen her, das diese Maßnahme schon umgesetzt hat. Dieses große Netzwerk ist der Grund, warum wir die Initiative gestartet haben.
„Denn wir wollen transformieren und wir haben einen Zeitplan. Nur sind die benötigten Technologien zum Teil noch gar nicht vorhanden. Deshalb wollen wir das Ohr an Forschung und Entwicklung haben, um dieses Wissen schnell an unsere Mitglieder weitergeben zu können.“
Sie sind neuerdings Mitglied im Norddeutschen Reallabor (NRL). Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden und welche Chancen sehen Sie in dieser Partnerschaft?
Christian Otto: Im März 2024 haben wir beim NRL-Transformation-Lab zum Thema industrielle Abwärme und kommunale Netzplanung teilgenommen. Hier hat uns die Arbeitsatmosphäre und die Zusammensetzung der beteiligten Arbeitsgruppen so überzeugt, dass wir dann gesagt haben: ‚Wir sind dabei‘. Denn wir wollen transformieren und wir haben einen Zeitplan. Nur sind die benötigten Technologien zum Teil noch gar nicht vorhanden. Deshalb wollen wir das Ohr an Forschung und Entwicklung haben, um dieses Wissen schnell an unsere Mitglieder weitergeben zu können.
Sie engagieren sich im NRL in drei Arbeitsgruppen: AG 3 (Industrielle Transformation, gesellschaftliche Teilhabe & Transfer), AG 5 (Neue Märkte, Geschäftsmodelle & Regulatorik) und AG 9 (Industrie). Warum sind Ihnen besonders diese drei Themen wichtig und mit welchen Erfahrungen können Sie diese Arbeitsgruppen bereichern?
Christian Otto: Unsere Mitglieder haben alle ähnliche Herausforderungen im Bereich Energie. Wir können viele Praxisbeispiele liefern und versprechen uns in der Zusammenarbeit, den Kontakt zu den Betroffenen Industrieunternehmen herstellen zu können und dann vielleicht sogar einige Pilotprojekte umsetzen zu können.
Die Nutzung von Prozesswärme und die Substitution von Erdgas sind wesentliche Themen für den VEA. Wie beurteilen Sie aktuell den Stand der Technologien?
Christian Otto: Das Temperaturniveau ist entscheidend. Für die niedrigen Temperaturen gibt es bereits Technologien wie die Wärmepumpe. Das funktioniert eigentlich gut. Ich sage deshalb ‚eigentlich‘, weil es dafür natürlich Strom braucht und da nicht nur die Menge, sondern auch die Anschlusskapazität ein Problem ist. Das deutsche Stromnetz wurde in den letzten Jahren nicht gerade vorbildlich ausgebaut. Die Schwierigkeit ist also nicht die Investitionsbereitschaft in neue Technologien, sondern die äußere Unsicherheit. Das gilt auch beim Wasserstoff. Wenn man eine Investitionsentscheidung trifft, dann nicht nur für fünf, sondern für 20 Jahre. Das heißt, man muss heute schon wissen, inwiefern Wasserstoff in ausreichender Menge und vor allem zu einem bezahlbaren Preis vorhanden sein wird. Diese Sicherheit gibt es aktuell nicht.
„Der Mittelstand hängt an dem Standort Deutschland, denn hier ist ja nicht alles schlecht.“
Abschließend gefragt: Aktuell könnte man das Gefühl bekommen, dass Klimaschutz auf politischer Ebene in vielen Ländern wieder etwas zaghafter angegangen wird als in den vergangenen Jahren. Wie schätzen Sie da aktuell die Stimmung der Unternehmen in Ihrer Initiative ein? Inwiefern äußert sich diese Stimmung in konkreten Entscheidungen?
Christian Otto: Nicht jedes Unternehmen ist gleich. Es gibt Unternehmen, die setzen schon seit längerem auf Klimaneutralität und haben sich ambitioniertere Ziele gesetzt. Die wollen 2030 klimaneutral sein. Es sind oft größere Unternehmen oder solche, für die das Teil des Geschäftsmodells ist. Die haben erkannt, dass sie sich früher oder später ohnehin mit Klimaneutralität beschäftigen müssen. Und wenn man irgendetwas unter Zeitdruck machen muss, dann wird es meistens teurer.
Andere Unternehmen sagen: ‚Okay, jetzt gibt es eine neue Bundesregierung. Mal gucken, die setzen ja vielleicht auf andere Technologien. Und dann wird alles gut und bleibt so wie es ist.‘ Die investieren nicht. Das ist immer so, wenn konkrete Zielvorgaben und Rahmenbedingungen für die nächsten Jahre nicht klar sind. Klar sagen dann auch einige: ‚Das mache ich hier nicht mehr mit, meine energieintensiven Prozesse verlagere ich ins Ausland.‘ Aber da kann ich ein bisschen entwarnen: Der Mittelstand hängt an dem Standort Deutschland, denn hier ist ja nicht alles schlecht. Wir klagen immer über die Bürokratie und da müssen wir dringend ran, auch wenn die natürlich eine gewisse Sicherheit gibt. Aber es wird oft eine 100% Lösung erwartet, die es allen recht machen soll. Da müssen wir vielleicht mal ein bisschen von abrücken und gewisse Toleranzen zulassen.
Abschließend sei noch gesagt: Es gibt durchaus auch Unternehmen, die Klimaschutz für die nachfolgende Generation betreiben. Wir als VEA merken zum Beispiel, dass wir über die Klimainitiative attraktiver für den Arbeitsmarkt werden. Die jüngere Generation will für einen guten Zweck arbeiten. Die wollen nicht nur ihre acht Stunden abarbeiten, sondern am Ende des Tages auch sagen können, dass ihre Arbeit etwas bewirkt hat und auch Spaß macht. Die können dann bei uns Unternehmen überzeugen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen und im nächsten Jahr sehen, wie es dadurch Energie und CO2 eingespart hat.
Wir bedanken uns herzlich bei Herrn Otto für seine Zeit und die spannenden Einsichten. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit im NRL.