Autor: Christian Schneider, CC4E/HAW Hamburg, wissenschaftliche Hilfskraft NRL-Kommunikation
Hamburg. Robin Jaede drückt auf den Startknopf. Blaue Linien flimmern über den Hintergrund des großen Bildschirms. In den Kästchen davor erscheinen Filme und Erklärmaterial zum Norddeutschen Reallabor (NRL), einem Großprojekt für den Markthochlauf von Wasserstoff- und Sektorenkopplungstechnologien. Der digitale Tisch wurde extra für die zentrale Phase des NRL-Teilvorhabens „Industrielle Transformation und gesellschaftliche Teilhabe“ (TV 3.1) angeschafft: die Transformation Labs. Insgesamt fünf dieser Stakeholder-Veranstaltungen will das sechsköpfige Team des TV 3.1 für die nächsten Monate organisieren. Los geht es mit dem ersten Lab nun am kommenden Mittwoch, 6. März.
Die Energiewende kann nicht einfach von oben nach unten durchdelegiert werden
Jaede ist Politikwissenschaftler. Ihn interessieren vor allem Fragestellungen von räumlicher Gerechtigkeit und Partizipation sowie Verteilungsfragen. Seit dem vergangenen Sommer ist der 30-jährige als Mitarbeiter des CC4E der HAW Hamburg Teil des Teilvorhabens 3.1 im NRL, das sich mit gesellschaftlich-soziökonomischen Fragestellungen der Energiewende auseinandersetzt. Er sagt: „Anders als in der Vergangenheit kann man solch große Prozesse wie die Energiewende heute nicht mehr top-down planen.“
Früher sei unsere Gesellschaft hierarchischer organisiert gewesen. Jaede erklärt: „Heute haben wir ein komplexes Geflecht an Herausforderungen, die auf vielen verschiedenen Schultern lasten“. Mit den Transformation Labs will der Hamburger erforschen, wie Akzeptanz für die Energiewende auf Stakeholder-Ebene aussieht.
Gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende auf abstrakter Ebene gegeben
Gesellschaftlich gibt es auf einer abstrakten Ebene ein hohes Bewusstsein für die Energiewende, wie eine im Rahmen des NRL durchgeführten CC4E-Studie auf Basis von repräsentativen Online-Befragungen in den norddeutschen Bundesländern zeigt. Zum Befragungszeitpunkt im Frühjahr 2022 wurden Umwelt-, Klima- und Energiefragen von den Norddeutschen unter die Top-Themen für die Entwicklung Deutschlands eingestuft. Jaede jedoch sagt: „Die grundsätzlich positive Einstellung zur Energiewende bringt auf einer niedrigeren Akzeptanzebene wenig, wenn die Menschen das Gefühl haben, übermäßig belastet zu werden.“
„Zu denken, man bräuchte den Leuten einfach nur zu erklären, wie die Technik funktioniert und damit wäre die Akzeptanz schon da, ist ein Fehler“, sagt Jaede. Als Politikwissenschaftler blickt er auf die Strukturen hinter den Interessen: Häufig seien nicht unterschiedliche Meinungen oder Haltungen für Zielkonflikte zwischen Stakeholdern verantwortlich, sondern strukturelle Umstände.
Erstes Lab hat das Thema industrielle Abwärme und kommunale Netzplanung
Beim ersten Lab, bei dem es um das Thema industrielle Abwärme und kommunale Netzplanung geht, werden etwa 30 Stakeholder*innen in den Austausch gehen. Mit dabei sind unter anderem Industrieunternehmer, die Abwärme produzieren sowie Klimaschutzmanager*innen. Auch die Planungsebene der kommunalen Ebene ist vor Ort. Die Forschenden aus dem Norddeutschen Reallabor nehmen alle Diskussionen, die in Kleingruppen geführt werden, mit Diktiergeräten auf und werten sie im Nachhinein aus: Welche Zielkonflikte gibt es zwischen den Akteuren? Welche Hemmnisse und Treiber für den Markthochlauf von Sektorenkopplungstechnologien bestehen?
Zu diesen Fragen haben Forschende des CC4E der HAW Hamburg bereits 2022 Interviews mit ausgewählten Expert*innen aus dem NRL-Netzwerk geführt und dazu eine Studie veröffentlicht. Als wichtigste Einflussgrößen für einen wasserstoffbasierten Markthochlauf von Sektorenkopplungstechnologien wurden 13 Faktoren, unter anderem die Regulatorik, Wirtschaftlichkeit und monetäre Förderungen identifiziert.
Ziel: Entwicklung von Handlungsempfehlungen
Eine konkrete Frage, um die es beim ersten Lab gehen soll, ist, ob die gegenwärtige Infrastruktur bereits eine gute Wirtschaftlichkeitsperspektive für die Einspeisung von Abwärme in das Netz bietet, sagt Jaede. Fraglich sei, ob eventuell zunächst noch mehr Haushalte, also Abnehmer, an das Netz angeschlossen werden müssen.
Die Auswertung der Labs besteht in der Erstellung verschiedener Szenarien zum Markthochlauf von Sektorenkopplungstechnologien, erklärt Jaede. Dazu wird der Einfluss der in den Expert*inneninterviews ermittelten Faktoren auf den Markthochlauf gewichtet. Je nachdem wie die Teilnehmenden der Labs die einzelnen Faktoren in ihren Aussagen bei den Veranstaltungen bewerten, erhalten diese für die Szenarioanalyse eine höhere oder niedrigere Bewertung. Das Endergebnis dieses Teilvorhabens des NRL sollen Handlungsempfehlungen sein, die Jaede und sein Team Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zur Verfügung stellen.
Transformation Labs als Vorlage für Vermittlungsprozess zwischen Stakeholdern
Jaede sagt: „Ich glaube, die Transformation Labs bieten eine Vorlage dafür, wie man einen Vermittlungsprozess zwischen Stakeholdern im Energiewendebereich gestalten kann.“ Der gute Zuspruch zu den Transformation Labs stimmt ihn optimistisch: „Auch wenn am Ende wahrscheinlich immer die Wirtschaftlichkeit im Unternehmen darüber entscheidet, ob Energiewende-Projekte umgesetzt werden, ist bei den Stakeholdern trotzdem auf jeden Fall eine Motivation da, die nicht nur Außendarstellung ist.“ In den weiteren Labs geht es um die Themen Wasserstoff in der chemischen Industrie und in der Grundstoffindustrie; Wasserstofferzeugung, Logistik und Transport und dessen Einsatz in der Mobilität.
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Dieser Beitrag ist ebenfalls auf dem Blog des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg erschienen.