Autorin: Astrid Dose, Öffentlichkeitsarbeit, Marketing Cluster Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH)
EEHH: Lieber Herr Prof. Schäfers, Sie sind als Referent auf dem Cross-Cluster-Event verschiedener Hamburger Cluster zum Thema „Die Rolle des Wasserstoffs im Energiesystem der Zukunft“ zu Gast. Wie ordnen Sie die Rolle konkret ein?
Prof. Dr. Hans Schäfers: Grüner Wasserstoff, also Wasserstoff, der per Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, spielt eine Schlüsselrolle bei der Defossilisierung unseres Energiesystems – sowohl durch die direkte stoffliche Nutzung und als alternativer Energieträger für industrielle Prozesse, als auch bei der Nutzung in CCU Prozessen, also der Reaktion von Wasserstoff mit CO2 zu Methan, Methanol oder langkettigen Kohlenwasserstoffen für synthetische Kraftstoffe und in anderen chemischen Produkten. Also Stoffe, die wir bisher unter Verwendung von Erdgas oder Erdöl produzieren. Wasserstoff ist aber vor allem der große potenzielle Langzeitspeicher Strom. Also der saisonale Ausgleich für die fluktuierende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Wasserstoff-Elektrolyse aus Überschussstrom muss perspektivisch am Ende der Energiewende in Rückverstromungsprozessen in Deutschland etwa 50 TWh Strom pro Jahr liefern können. Strom für Zeiten in denen nicht genug Wind weht, die Sonne nicht scheint und kurzfristig aktivierbare Flexibilitäten aus Demand Side Management und Batteriespeichern zu Deckung des Strombedarfs nicht mehr ausreichen.
Die Mengen Wasserstoff, die wir zukünftig in Deutschland für alle diese Anwendungen brauchen sind enorm. Wir bewegen uns da, je nach Szenario und abhängig von den Kosten für die Wasserstoffproduktion, in Größenordnungen von 400 TWh Wasserstoff pro Jahr. Das ist fast soviel Energie (80%) wie wir in Deutschland im Jahr an Strom verbrauchen. Wir werden also wirklich viel Wasserstoff brauchen. Derzeit ist Wasserstoff aber eher noch ein noch knappes Gut. Wir müssen also die Erzeugungskapazitäten für Grünstrom und Elektrolyse in Deutschland und weltweit zügig und massiv ausbauen.
Infobox: Cluster Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH)
Das EEHH ist das zentrale regionale Branchennetzwerk für Energiesysteme der Zukunft in Hamburg. Seit 2010 bietet es Vernetzungs- und Informationsmöglichkeiten für interessierte Akteure. Momentan gehören rund 250 Unternehmen aus Segmenten wie Finanzierung, Forschung, Produktion, Projektentwicklung und Rechtsberatung dem Cluster an. Einen besonderen Fokus legt das EEHH darauf, die Kompetenzen der Hansestadt Hamburg im Bereich Windenergie weiterzuentwickeln.
EEHH: Das EEHH-Cluster baut seit Ende 2020 gemeinsam mit seinen Mitgliedsunternehmen (mehr als 80 im Segment Wasserstoff) die Hamburger Wasserstoffwirtschaft auf. Welche Fortschritte erkennen Sie? Welche Herausforderungen gibt es Ihrer Meinung nach immer noch?
Prof. Dr. Hans Schäfers: Mich beeindruckt das entschlossene Vorangehen vieler Hamburger Unternehmen, das sich auch im schnellen Wachstum der neuen EEHH-Sparte spiegelt. Ich erlebe das auch in meiner Arbeit am CC4E als Mitglied der Projektsteuerungsgruppe des Norddeutschen Reallabors, in dem mehr als 50 Partner an einem Strang ziehen, um klimaneutrale Technologien und Prozesse zu erproben, viele auf Basis von grünem Wasserstoff. Auch Hamburgs Planung für das Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz ‚HH-WIN‘ ist wirklich eine beeindruckende Initiative und zeugt von hoher Weitsichtigkeit der Industriepolitik der Stadt. Es zeigt auch nochmal deutlich, welchen Nutzen wir nun ganz konkret davon haben, dass die Stadt die Energienetze wieder in eigener Regie betreibt. Eine solches Investment, eine solche Initiative wäre mit einem privatwirtschaftlich agierendem Gasnetzbetreiber wohl kaum möglich. Denn den Markthochlauf von Wasserstoff bremsen aktuell noch sehr die Kosten aus: Durch die angespannte Weltwirtschaftliche Gesamtlage infolge von Kriegen und Inflation ergeben sich im Moment deutlich zu hohe Betriebskosten für Elektrolyseure. Zudem sehen wir regulatorische Bedingungen, die diese Unsicherheiten derzeit nicht auffangen. Dadurch haben Unternehmen, die jetzt relativ früh in diesem neuen Feld investieren wollen, wenig Sicherheit, dass ihr Geschäftsmodell auch aufgeht. Investitionsentscheidungen und Projekte wie der Green Hydrogen Hub in Moorburg oder große Elektrolyse-Projekte im NRL geraten dadurch ins Straucheln. Hier ist die Politik gefragt: Es darf kein Nachteil sein, bei der Energiewende entschieden voranzugehen. Glücklicherweise unterstützt die Hamburger Landespolitik das Thema auf breiter Linie.
EEHH: Das CC4E bzw. die HAW Hamburg ist mit der Koordination des Großprojektes Norddeutsches Reallabor betraut. Können Sie einen kurzen Zwischenstand geben? Welche weiteren Großprojekte im Bereich Wasserstoff sind von Ihrer Seite aus geplant?
Prof. Dr. Hans Schäfers: Das Norddeutsche Reallabor (NRL) startete 2021 direkt im Anschluss an unser sehr erfolgreiches Verbundprojekt NEW 4.0 – Norddeutsche Energiewende 4.0. Während es bei NEW 4.0 vor allem um die Nutzung neuer digitaler Ansätze zur Vermeidung von Netzengpässen und die Flexibilisierung von industriellen Stromlasten ging, setzt das NRL die länderübergreifende Zusammenarbeit mit Fokus auf dem Ausbau der wasserstoffbasierten Sektorenkopplung fort. Auch die industrielle Abwärme nehmen wir im NRL in den Blick. Unsere Halbzeitbilanz Ende 2023 zeigt: Die erste Projekthälfte war steinig. Auch die NRL-Projektpartner hatten mit den eben erwähnten Problemen, wie hohen Energiekosten und regulatorischen Unsicherheiten zu kämpfen. Aber sie stehen nach wie vor eng zusammen und sind neu konsolidiert und motiviert in die zweite Projekthälfte gestartet.
Im laufenden Jahr werden wichtige Meilensteine im H2-Mobilitätsbereich des Projekts erreicht: Die HOCHBAHN nimmt einige Brennstoffzellenbusse in Betrieb, der Hamburg Airport wird den Einsatz von H2-Gepäckschleppern erproben. Außerdem wird der erste durch NRL-Förderung beschaffte Elektrolyseur zu Jahresende ausgeliefert: Er wird bei der Stadtreinigung Hamburg mit einer Bioabfallbehandlungsanlage gekoppelt, um den Methanertrag zu steigern. Auch das Thema Wärmewende spielt eine wachsende Rolle: Aurubis erprobt nach jetzigem Stand ab der kommenden Heizperiode (2024/25) die Abwärmeauskopplung aus einem Nebenprozess der Kupferproduktion zur Versorgung von bis zu 20.000 Haushalten mit CO2-freier Industrieabwärme. Bis Anfang 2026 sollen alle Referenzanlagen der aktuell laufenden Teilvorhaben in Betrieb sein, um den Transformationspfad zu einer schnellen Defossilisierung unseres Energiesystems aufzuzeigen.
Aktuell planen wir mit den NRL-Partnern und den Ländern, wie eine Fortsetzung der Aktivitäten aus dem Norddeutschen Reallabor nach Projektende aussehen könnte. Dabei werden Wasserstoffproduktion, -speicherung und -nutzung in der Modellregion sicher weiter eine zentrale Rolle spielen.
Vielen Dank für das spannende und aufschlussreiche Interview!
Dieser Beitrag ist ebenfalls auf dem Blog des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg erschienen.