„Der Strukturwandel muss innerhalb von Unternehmen gelingen“

Heiko Gröpler vom DGB Nord vertritt die Perspektive der Gewerkschaften im Verbundprojekt Norddeutsches Reallabor. Im Interview erklärt er, wie Unternehmen ihre Arbeitskräfte in der Transformation mitnehmen können und was die Politik zu tun hat. Außerdem: Welche Stellschrauben es beim Fachkräftemangel gibt.

Heiko Gröpler leitet beim DGB Nord die Abteilung Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik. Foto: Isadora Tast.

Das Interview führte: Christian Schneider, CC4E/HAW Hamburg, wissenschaftliche Hilfskraft NRL-Kommunikation

Hamburg. Die Energiewende und die industrielle Transformation bedeuten auch für den Arbeitsmarkt große Veränderungen. Heiko Gröpler vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Nord vertritt die Interessen der Beschäftigten in der Transformation gegenüber der Politik. Auch im Energiewendeprojekt Norddeutsches Reallabor wirkt er mit. Ihm ist es wichtig, dass Unternehmen und Politik die Beschäftigten in den Wandel mit einbeziehen. Er sagt, die Schuldenbremse steht dem im Weg. Beim Fachkräftemangel sieht er ein ganzes Repertoire an Maßnahmen.

Herr Gröpler, steht der DGB Nord hinter den Klimazielen von Paris?

„Ja. Denn wir wollen auch für unsere Mitglieder die Welt lebenswert erhalten. Und wir glauben, dass der Umbau unserer Industrie zügig gelingen muss. Es ist wichtig, dass wir die Wertschöpfungsketten, die in Deutschland sehr eng miteinander verzahnt sind, erhalten. Es nützt dem Klima nicht, wenn wir Produktionen irgendwohin auslagern, wo der CO2-Fußabdruck eventuell sogar höher ist. Gleichzeitig müssen wir gucken, dass beim Umbau eine soziale Balance gewahrt wird. Die Beschäftigten dürfen nicht zum Leidtragenden der Transformation werden.“

Im Verbundprojekt Norddeutsches Reallabor wirken Sie in zwei Arbeitsgruppen: AG 3 „Industrielle Transformation, gesellschaftliche Teilhabe und Transfer“ sowie AG 4 „Volkswirtschaft, Arbeitsmarkt & Qualifizierung“ mit. Warum?

„Weil es ohne uns im Norddeutschen Reallabor eine Leerstelle geben würde: Der Blickwinkel der Beschäftigten würde fehlen. Ich glaube, dass sich Unternehmen viel langsamer wandeln, wenn die Belegschaften nicht mitziehen. Denn die Beschäftigten wissen in ihrer alltäglichen Arbeit eigentlich sehr gut, woran es hapert. Daher ist es wichtig, die Ideen der Beschäftigten mitzunehmen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass der Strukturwandel so gelingt, dass auch für unsere Beschäftigten stabile Arbeitsverhältnisse entstehen.

Im Norddeutschen Reallabor beschäftigen wir uns sehr viel mit Wasserstoff. Wir sind überzeugt, dass dieser Energieträger einer der Schlüssel für das Gelingen der Energiewende ist. Ohne Wasserstoff wäre die Frage, wie wir Energie speichern können, schwer zu beantworten. Auch in der Grundstoffindustrie wird Wasserstoff unbedingt gebraucht.“


Infobox: Das ist Heiko Gröpler

„Seit mittlerweile zehn Jahren habe ich hier eine der schönsten Aufgaben“, sagt Heiko Gröpler. Er leitet beim DGB Nord die Abteilung Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik. Zu dem Bereich gehören auch die Aufgabenfelder Energie-, Umwelt- und Klimapolitik sowie Infrastruktur- und Mobilitätspolitik. So sitzt Gröpler unter anderem im Energiewendebeirat von Schleswig-Holstein. Ursprünglich kommt er aus dem Schiffbau, hat dort als Elektroniker gearbeitet. Nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre ging er zum DGB.

 

Der DGB Nord bündelt die Positionen von acht Dachorganisation (u.a. IG Metall, EVG und ver.di) mit rund 400.000 Mitgliedern in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Er agiert als Lobbyorganisation für die Beschäftigten gegenüber der Politik.


 

Für die Transformation brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt ganz neue Kenntnisse und Fähigkeiten. Können wir mit unseren aktuellen Fachkräften die Energiewende überhaupt bewältigen?

„Ja. Denn zum Glück sind Fachkräfte in Deutschland in der Regel recht breit ausgebildet. Klar, an bestimmten Stellen braucht es Nachschulungen: Fachkräfte müssen Zusatzqualifikationen erlangen. Auch die Ausbildungen müssen angepasst werden. Aber schon länger geht niemand davon aus, dass ein Beruf 40 Jahre lang hält. Wichtig ist, dass wir sicherstellen, dass in den Ausbildungen auch künftig eine breite Grundlagenbildung vermittelt wird. Außerdem ist ja nicht alles neu: KFZ-Mechatroniker müssen sich künftig zwar auch mit Elektroantrieben auskennen und nicht nur mit Verbrennungsmotoren. Aber viele Grundkonstruktionen wie Lenkung, Bremsen, Karosserie usw. funktionieren bei Elektroautos genauso wie bei Autos mit Verbrennungsmotor.“

Durch die Energiewende werden nicht nur neue Qualifikationen benötigt, alte verlieren ihre Bedeutung. Es droht der Verlust von Arbeitsplätzen. Wie kann die Transformation sozial gerecht gestaltet werden?

„Als Gewerkschaften setzen wir uns für möglichst stabile Arbeitsverhältnisse ein. Aus der Perspektive von Volkswirten wird das Wegfallen von Jobs häufig gar nicht als so schlimm angesehen. Sie sagen: ‚Im Strukturwandel entstehen an anderer Stelle ja neue Jobs.‘ Menschen, die im Strukturwandel jedoch ihre Arbeitsplätze verlieren, empfinden zunächst große Unsicherheit. Zudem müssen sie am neuen Arbeitsplatz, im neuen Unternehmen häufig von ganz unten wieder anfangen und verdienen weniger Geld. Darum sagen wir: Der Strukturwandel muss innerhalb von Unternehmen gelingen.

„Damit der Strukturwandel sozial gerecht gelingen kann, müssen Unternehmen Strukturentscheidungen rechtzeitig treffen.“

Wichtig ist, dass Unternehmen nicht zu lange am Alten festhalten. Damit der Strukturwandel sozial gerecht gelingen kann, müssen Unternehmen Strukturentscheidungen rechtzeitig treffen. Dafür müssen sie sich auch ihre Belegschaften anschauen: Was für Qualifikationen habe ich schon? Wie kann ich meine Belegschaft entsprechend weiterqualifizieren?“

Was machen Sie, wenn Belegschaften der Veränderung im Unternehmen in der Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft eher im Weg stehen?

„Uns kommt es schon darauf an, die berechtigten Sorgen der Beschäftigten in die politische Debatte einzuspielen. Gleichzeitig versuchen wir Skeptiker zu überzeugen und gegenüber unseren Belegschaften deutlich zu machen, dass sie Teil des Wandels sein müssen. Wenn die Beschäftigten von der Energiewende nicht überzeugt sind, dann geht viel Zeit verloren, weil diskutiert wird. Wenn sie aber merken, dass ihr Unternehmen einen Plan hat, dann sind sie auch bereit an einem Strang zu ziehen und neue Dinge zu erlernen. Das müssen Unternehmen aber auch zulassen und die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen. Wenn die Politik das nicht leistet oder sogar als Bremser auftritt, wie sollen die Beschäftigten dann daran glauben, dass die Transformation gelingen kann?“

Was sind Ihre Forderungen an die Politik?

„Die Politik muss mit entsprechenden Maßnahmen und Investitionen zeigen, wie die Energiewende gelingen kann. Ohne einen Wasserstoffanschluss zum Beispiel wird kein Unternehmen auf Wasserstoff umstellen können. Es braucht also die entsprechende Infrastruktur. Außerdem muss der Strom billiger werden. 

Ein Stromsystem, das innerhalb von 200 Jahren gewachsen ist, versuchen wir jetzt innerhalb von 20 Jahren von einer zentralen auf eine dezentrale Stromversorgung umzubauen. Dass wir die gesamten Kosten für diese Transformation in die aktuelle, kurze Zeit des Umbaus packen wollen, dafür habe ich kein Verständnis. Häufig wird zur Finanzierung aktuell eine Reduktion der Sozialausgaben gefordert. Doch damit gefährden wir den sozialen Zusammenhalt. Ich bin der Meinung, wenn wir am Ende nicht ohne Industrie dastehen wollen, muss die Schuldenbremse reformiert, wenn nicht abgeschafft werden.“

„Wenn wir am Ende nicht ohne Industrie dastehen wollen, muss die Schuldenbremse reformiert, wenn nicht abgeschafft werden.“

Ein Problem, das die Unternehmen aktuell beschäftigt, ist der Fachkräftemangel. Welche Stellschrauben gibt es, um dem entgegenzuwirken?

„Erstens, die Weiterbildung. In den Unternehmen braucht es dazu entsprechende Strategien. Zweitens müssen alle Potenziale, die es innerhalb von Deutschland gibt, gehoben werden und drittens braucht es auch weiterhin Zuwanderung. In punkto Hebung der inländischen Potenziale machen uns die skandinavischen Länder vor, wie es geht: Dort arbeiten sehr viel mehr Menschen als bei uns, vor allem wenn man dies in Vollzeitäquivalenten betrachtet. Das Problem ist, dass in Deutschland ganz viele Menschen in Minijobs und unfreiwilliger Teilzeit festhängen.

Auch der Anteil der Frauenerwerbstätigkeit ist noch nicht hoch genug. Im Osten ist die Situation besser als im Westen. Das hat was mit Angeboten zu tun, sowohl im Kinderbereich als auch im Pflegebereich. Ein Problem ist auch, dass nach wie vor circa ein Viertel der jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung oder andere berufliche Qualifikationen dasteht. Außerdem arbeiten viele bereits Zugezogene bei uns nicht qualifikationsgerecht. Dafür steht das Beispiel des Arztes, der hier Taxi fährt, weil er einfach keine Anerkennung als Arzt erhält.“

Trotz aller Probleme: Denken Sie, dass wir die Energiewende hier in Norddeutschland bewältigen werden?

„Norddeutschland ist eigentlich der perfekte Ort dafür, um zu zeigen, wie die Energiewende erfolgreich gestaltet werden kann. Und zwar so gestaltet, dass sie mit Beschäftigungssicherung und guter Arbeit einhergeht. Ich denke, es ist unsere Verantwortung als Industriestandort zu zeigen, dass auch mit volatilen Energieerzeugungsträgern eine Industrieproduktion möglich ist. Die Gewerkschaften des DGB wünschen sich, dass wir der Welt und allen Skeptikern zeigen können, dass es funktioniert. Wir wollen sagen: Kommt her nach Norddeutschland, guckt euch das an, so geht’s.“

Vielen Dank für das spannende und aufschlussreiche Interview!

Dieser Beitrag ist ebenfalls auf dem Blog des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg erschienen.

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